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Sondierungsgespräche und ihre Folgen: Dirk Reisacher über die Auswirkungen der politischen Entscheidungen auf das Friseurhandwerk

Insta-Beitrag_Dirk Reisacher zu Sondierung

Dirk Reisacher ist nicht nur ein erfolgreicher Unternehmer, sondern auch ein engagierter Vertreter seines Handwerks. In seinem Salon in Biberach, Baden-Württemberg, beschäftigt er 14 Mitarbeitende sowie 3 Auszubildende und setzt sich in verschiedenen Gremien für die Interessen der Branche ein.

Als Vorstandsmitglied des Zentralverbands des Deutschen Friseurhandwerks, Landesinnungsmeister des Fachverbands für Friseure und Kosmetiker in Baden-Württemberg und Vorsitzender des ZV-Ausschusses für Wirtschaft und Soziales verfolgt er politische Entwicklungen mit besonderem Augenmerk auf deren Auswirkungen auf das Handwerk.

Im Interview mit uns spricht Dirk Reisacher über die ersten Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD und ordnet ein, was diese für die Friseurbranche bedeuten könnten.

 

Was war Ihre erste Reaktion auf die Ankündigung der kommenden Bundesregierung, den
Mindestlohn bis 2026 auf 15€ zu erhöhen?

Dass nun auch die CDU die Forderung anderer Parteien nach einem Mindestlohn von 15 Euro übernimmt, hat mich doch überrascht, und ich halte dies für ein sehr bedenkliches Zeichen. Die Tarifkommission wird wieder einmal ausgehebelt und übergangen. In Zukunft wird es zu einem Überbietungswettbewerb beim Mindestlohn bei jeder Bundestagswahl durch alle Parteien kommen. Dies sollte bei Einführung des Mindestlohnes durch das Mindestlohngesetz verhindert werden.

Was genau bedeutet dieser Anstieg eigentlich in einem Salon?
Im Grundsatz muss verstanden werden, dass es sich beim Mindestlohn um den Lohn handelt, den eine ungelernte Kraft für ihre Tätigkeit erhält. Wie in vielen Gewerken, unterscheiden wir im Friseurhandwerk zwischen unterschiedlichen Lohnstufen. Diese sind in der Regel abhängig z.B. von der Qualifikation und der Berufserfahrung und unterscheiden sich dementsprechend. Ein erfahrener Mitarbeitender mit Meisterbrief verlangt grundsätzlich zu Recht eine bessere Entlohnung als ein frischgebackener Geselle. Wenn wir nun dieses Gefüge an der untersten Schwelle erhöhen, wird der Abstand zur nächsten Stufe geringer. Also wird diese ebenso erhöht. Dieser Effekt zieht sich dann folglich über alle Lohnstufen hinweg. Wir sprechen von einem Kamin-Effekt im Lohngefüge des Betriebs.

Es bleibt also nicht nur bei der Erhöhung des Mindestlohns?
Das ist richtig. Die Unternehmenden werden auf allen Lohnebenen erhöhen müssen.

Hätten Sie hierfür vielleicht ein konkretes Rechenbeispiel?
Der aktuelle Mindestlohn beträgt 12,82 Euro brutto pro Stunde. Eine Erhöhung auf 15,00 Euro brutto entspricht einem Anstieg von 17 % bzw. 2,18 Euro pro Stunde. Ein Beispiel: Ein Mitarbeitender verdient derzeit 2.800 Euro brutto pro Monat. Da das Lohngefüge mit der Mindestlohnerhöhung angepasst wird, steigt sein Gehalt ebenfalls um 17%. Das bedeutet: Er erhält künftig 3.276 Euro brutto pro Monat, also 476 Euro brutto mehr als zuvor.

476 Euro hört sich angesichts der Forderungen z.B. des öffentlichen Dienstes nicht so
dramatisch an.
Auf den ersten Blick mag es so erscheinen – doch das täuscht. Wir sprechen hier nur über den Lohn. Als Unternehmerinnen und Unternehmer tragen wir jedoch eine Vielzahl an zusätzlichen Kosten, die sich letztendlich im Preis widerspiegeln.

Eine grobe Faustregel besagt: Ein Mitarbeitender muss etwa das Vierfache seines Lohns an Umsatz erwirtschaften, damit sich die Anstellung für das Unternehmen rechnet. Das bedeutet für unser Beispiel:

  • Bei 2.800 Euro brutto müsste der Mitarbeitende einen monatlichen Umsatz von 11.200 Euro erzielen.
  • Bei 3.276 Euro brutto steigt dieser Wert auf 13.104 Euro.

Hochgerechnet auf das gesamte Jahr ergibt sich ein zusätzlicher Umsatzbedarf von rund 23.000 Euro – eine erhebliche Summe. Deutlich wird diese Zahl erst, wenn man sie in Relation zum Preisgefüge eines Salons setzt. Doch genau hier liegt das Problem: Die Preisgestaltung ist in unserer Branche äußerst individuell, sodass ein direkter Vergleich nicht möglich ist.

Dennoch: Jede Kundin und jeder Kunde kann anhand eigener Erfahrungen besser nachvollziehen, warum uns die Erhöhung des Mindestlohns solche Sorgen bereitet.

Wie würden Sie in Ihrem Salon darauf reagieren?
Das ist eine schwierige Situation. Eine entsprechende Preisentwicklung ist sicherlich unvermeidlich. Doch schon jetzt merke ich, dass die Preisakzeptanz der Kundinnen und Kunden ihre Grenzen hat.

Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass mein Team und ich in unserem Salon eine sehr hohe Dienstleistungsqualität bieten – und unsere Kundschaft weiß das zu schätzen. Qualität hat ihren Preis, doch auch diese Entwicklung, davon bin ich überzeugt, stößt irgendwann an ihre Grenzen.

Bleibt noch die Möglichkeit der Kostenoptimierung. Doch auch hier sehe ich nur begrenztes Potenzial – vor allem, wenn man bedenkt, dass 50–60% der Kosten auf Löhne und Lohnnebenkosten entfallen. Die Einsparmöglichkeiten sind also überschaubar.

Es gäbe noch weitere Ansätze, doch diese würden zwangsläufig entweder zu Lasten der Mitarbeitenden oder der Qualität gehen – und damit letztlich auch zu Lasten der Kundinnen und Kunden. Keine verlockende Option.

Wie wird Ihrer Meinung nach die Branche reagieren?
Meiner Meinung nach werden wir verschiedene Marktentwicklungen als Reaktion auf die Erhöhung des Mindestlohns sehen. Ganz sicher wird es zu einer erhöhten Zahl an Betriebsschließungen kommen. Dies wird langsam geschehen, denn das Friseurhandwerk und seine Unternehmenden hängen natürlich an ihren Geschäften, aber auch an den Mitarbeitenden und an den Kund:innen. Man schließt den Salon erst, wenn alle Reserven aufgebraucht sind und man wirklich nicht mehr kann. Und dann tut man das ohne viel Aufhebens – ganz still und leise.
Die Zweite Bewegung wird den Markt noch verstärkt atomisieren. Unternehmende werden sich deutlich verkleinern und mit Blick auf eine drohende Schließung eher als Solo-Selbständige agieren. Zusätzlich erwarte ich, dass Mitarbeitende, die aufgrund von Salonschließungen nun arbeitslos sind, ebenfalls ihr Heil in der Selbständigkeit versuchen werden.
Damit einher geht die dritte große Bewegung und das ist für mich ein deutlicher Anstieg der Schwarzarbeit. Betriebe, die bislang ganz regulär am Markt agiert haben, werden – aus der Not und aus der Verzweiflung geboren – ihren Mitarbeitenden alternative Lohnkonzepte anbieten.
Das begrenzte Marktvolumen wird auch Solo-Selbständige dazu zwingen alternative Wege zu suchen und zu gehen. Es ist damit zu rechnen, dass der bereits hohe Anteil der Schwarzarbeit im Friseurhandwerk, noch deutlich steigen wird.

Was bringt uns die Zukunft zum Thema Mindestlohn?
Meiner Meinung nach ist hier kein Ende in Sicht. Ohne ein deutliches wirtschaftspolitisches Umdenken der verantwortlichen Politik, wird der Mindestlohn weiterentwickelt und damit die Situation im Friseurhandwerk verschlimmert. Verschärfen wird die Entwicklung auch die Situation in den Sozialkassen. Die Erhöhungen der Lohnnebenkosten in diesem Jahr sind noch nicht abgeschlossen. Renten- und Krankenkassen sind schwer am Limit und lassen sich nur mit Hilfe von klaren Beitragserhöhungen retten, welche wir zusätzlich als Unternehmende mittragen werden.

Welche Kritik üben Sie an der Politik?

Meine Kritik an der aktuellen Politik ist vielfältig. Zunächst einmal halte ich den politisch motivierten Mindestlohn von 15 Euro für problematisch. Löhne und Arbeitsbedingungen sollten nicht von der Politik festgelegt werden, sondern den Tarifparteien überlassen bleiben, da diese die wirtschaftlichen Gegebenheiten der jeweiligen Branchen und Regionen am besten einschätzen können. Zudem muss das Tarifautonomiestärkungsgesetz dringend überarbeitet werden, um den Tarifpartnern einen einfacheren Zugang zu allgemeinverbindlichen Tarifverträgen zu ermöglichen.

Ein weiteres großes Manko ist, dass die dringend erforderliche Reform des Mehrwertsteuergesetzes nicht angegangen wird. Stattdessen werden Insellösungen geschaffen. Aber leider nicht für unsere Branche, obwohl wir so die problematischen Entwicklungen in den Kostenstrukturen zumindest abmildern könnten. Es fehlt eine nachhaltige, branchenübergreifende Lösung, die den steigenden Kosten gerecht wird.

Darüber hinaus wird das Handwerk in der Politik nicht als Schlüsselindustrie anerkannt, obwohl kleine und mittelständische Betriebe eine zentrale Rolle in unserer Wirtschaft spielen. Es gibt kaum gezielte Maßnahmen, die auf die speziellen Bedürfnisse dieser Betriebe eingehen. Die Unterstützung für sie ist minimal. Gerade diese Unternehmen sind der Motor der Wirtschaft, und ihre Anforderungen und Herausforderungen müssen mehr Beachtung finden.